"Mit dem Rücken zur Wand"


Erfahrungsbericht

In den folgenden Zeilen beschreibt eine Mutter (36 Jahre alt) sehr genau, wie sie sich nach Erhalt der Diagnose „Brustkrebs“ gefühlt hat. Sie beschreibt das Gefühl der Angst und was man denkt, wenn sich der eigene Körper verändert. Es wird deutlich, mit was für einer Verzweiflung man leben muss und wie sich die Selbstwahrnehmung und die Einstellung zum Leben ändert. Dabei geht es ebenfalls um die Frage nach der Existenz Gottes, die im Zusammenhang bedeutender Ereignisse hinterfragt wird. Auch spielen ebenfalls die Kinder eine große Rolle, durch die die Mutter Halt in ihrem Leben findet.

Dieser Text ist sehr berührend, weil er es vermag mit einzelnen Wörtern wahre Gefühle zu wecken.


Mit dem Rücken zur Wand, wie ist das ? Wie ist das, wenn der Ausdruck im Gesicht des Arztes dir sagt: Gefahr? Wenn deine Kinder klein sind? Wenn es überhaupt nicht ins Bild passt? Du viel zu jung bist? Du etwas völlig anderes vorhattest?

Und plötzlich, aus dem Nichts: Diagnose, Prognose.

 

Angst

 

 

Allein.

 

Absolut allein.

 

 

Verzweifelt schlägst du an die Badezimmerkacheln: Ich will meine Kinder groß werden

sehen!

 

 

Und immer wieder Grönemeyer : “…das Leben ist nicht fair.“

 

 

 

Wo ist Gott?

 

 

 

Gott?

 

 

Warum wird genau in mein Zimmer eine Patientin gelegt, die Spanisch spricht? Warum liest sie mir auf Spanisch vor: „denn Gott hat seinen Engeln befohlen, dass sie dich behüten, dass du deinen Fuß nicht an einen Stein stossest“?

Wie kann man schon halb in Narkose wissen, dass der Pfleger ein gläubiger Mensch ist, ohne dass er das sagt?

 

 

Wie das ist, Chemotherapie und Bestrahlung? Unendlich hart und  leidvoll. Diese Übelkeit.

 

Den Arzt, ja, den konnte man am Abend der ersten Chemo anrufen. „Holen Sie sich Übelkeitstropfen. Ich gehe jetzt Essen.“  Aha.

 

Und die Haare? Egal. Wusste gar nicht, was ich für eine schöne Kopfform habe.

 

Mit der Zeit wirst du mutiger. Kotzt auch mal in den Garten. Auf den Rasen. Warum wuchs da kein Gras mehr?

 

Der Nachbar hat Geburtstag. „Guck mal,“ sagst du zu deinem Kind, „ der ist 84.“ Dein Kind guckt ihn an und sagt zu dir: „So alt wirst du auch mal.“ Wie kann ein vierjähriges Kind so etwas sagen? Die volle Ladung Kraft. Mitten ins Herz!

 

 

 

 

 

Dein Körper, ja, nun liebst du ihn. Bist dankbar, dass du ihn hast. Magst ihn, wie er ist. Kein Gemecker mehr über Fett und Formen. Er ist super so, genau richtig. Deiner.

 

Das Leben danach? Ein anderes?

 

Alles wird gemessen am Leid der Krankheit. Nur noch so leben, dass es die Behandlung wert war. Ohne Maske. Echt.

Kein Wenn und Aber. Lebenszeit nutzen. Überflüssiges weg.

 

 

 

"Wenn ich mein Leben noch einmal leben könnte, 
im Nächsten Leben würde ich versuchen, mehr Fehler zu machen.

Ich würde nicht so perfekt sein wollen,
ich würde mich mehr Entspannen.

Ich wäre ein bisschen verrückter, als ich es gewesen bin,
ich würde viel weniger Dinge so ernst nehmen.
Ich würde nicht so gesund leben.
Ich würde mehr riskieren, 
würde mehr reisen,
Sonnenuntergänge betrachten, 
mehr Bergsteigen,
mehr in Flüssen schwimmen.

 

 

 

Wenn ich noch einmal leben könnte,
würde ich von Frühlingsbeginn an
bis in den Spätherbst hinein barfuss gehen. 
Und ich würde mehr mit Kindern spielen, 
wenn ich das Leben noch vor mir hätte
.

 

 

 

wenn ich noch einmal anfangen könnte, 
würde ich versuchen, nur mehr gute Augenblicke zu haben.

 

Falls du es noch nicht weißt, 
aus diesen besteht nämlich das Leben;
nur aus Augenblicken; 
vergiss nicht den jetzigen.  (…)  

 

(J.Borges)

 

 

 

Und los!

 

 


(Anonym)